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LVG. – :
Vier Jahrhunderte zu durchleben und doch nie älter als 36 Jahre zu werden, dies ist die Geschichte von Lord Orlando, der im 16. Jahrhundert als Mann geboren, nach einwöchiger Trance als Lady Orlando wieder aufwacht, sich mit den gesellschaftlichen Veränderungen im Lauf der vier Jahrhunderte auseinandersetzen muss, sich dabei immer wieder mit neuen Einschränkungen und Fragen nach seiner/ihrer Geschlechteridentität konfrontiert sieht.
Wie nebelgeist schon erwähnte, soll der Duft diesen Geschlechterwechsel abbilden.
Bei mir erfolgt aber kein harscher Wechsel; der Duft zeigt sich von Beginn weg androgyn.
Der Auftakt transportiert mich in ein helles und freundliches, in orangefarbenes, amberwarmes Licht getauchtes Herrenzimmer im 18. Jahrhundert, die Luft geschwängert von süßem Pfeifentabak, leisen, aromatischen Duftfäden von Ingwertee, ein paar Orangenschalen auf einem Beistelltischchen und dank des Perubalsam mit süß-holziger, warmer Wandvertäfelung.
Die ersten Minuten bieten eine sehr weiche, warme und behaglich aromatische Mischung für meine Nase.
Aber der Duft wird unruhiger: Rasch durchziehen etwas dunklere Würztöne den Duft. Schwach rauchige Nelken scheinen sich mit den holzigen Noten zu einer Art subtiler Weihrauchigkeit zu vermengen. Und schließlich kommt noch eine große Dosis seifig sauberer Moschus dazu.
Nun ist das Durcheinander komplett.
„Orlando“ bietet mir ein durchgehendes Spiel mit gegensätzlichen Eindrücken: Da ist einerseits die Ebene leicht liköriger, orangefarbener Ambrawärme vermischt mit Pfeifentabaksüße und dunklen Gewürztee-Noten und gleichzeitig die seifige Süße von Moschus und Perubalsam.
Mal erscheint „Orlando“ entspannt in einem gemütlichen Ohrensessel zurückgelehnt zu schlummern, mal erscheint er leicht beschwipst, mal zieht er sich etwas grimmig in eine dunkle holzige und würzige Ecke zurück, mal scheint er direkt aus dem Badezimmer zu kommen und stark nach Seife zu riechen.
Alle diese Ebenen sind gleichzeitig vorhanden, umspielen sich, übernehmen abwechselnd die Hauptrolle, nur um sich wieder zurückzuziehen und anderen das Rampenlicht zu überlassen. So geht es über mehrere Stunden.
Mir persönlich ist der Duft zu durcheinander und zu unruhig. Er ist mir nicht unsympathisch, ich mag jede der einzelnen Ebenen eigentlich gern, finde aber keinen richtigen Zugang zu diesem ständigen Wechselspiel.
Dancho – :
Achtung: Diese Rezension könnte als schwere Kost empfunden werden. Bitte nicht lesen, wenn man ein empfindliches Gemüt hat oder gegenwärtig mit seinen emotionalen Dämonen zu kämpfen hat.
Gibt es sie, die Nischendüfte, die zu sehr Nische sind? Künstlerische Ansätze, die zu künstlerisch sind? Machen Düfte, die einen bestimmten Menschen oder einen Charakter umschreiben sollen, eigentlich Sinn?
Das lässt sich wohl mit einem klaren Jain beantworten.
Wobei ich bei den ersten beiden Fragen zum Ja tendieren würde.
Das Haus Jardins d’Écrivains (zu deutsch Gärten der Schriftsteller) hat klare Rahmenbedingungen für seine Düfte. Ein jeder wird gewoben um einen bedeutenden Schreiberling oder eine Figur aus einem bedeutenden literarischen Werk.
Beim hier zu beschreibenden Duft ist dies Lord bzw. Lady Orlando, aus dem gleichnamigen Buch von Virginia Woolf.
Für das Verständnis des Duftes ist daher ein kleiner Exkurs nötig.
Allerdings halte ich mich kurz, keine Sorge.
Die Geschichte des jungen Lord Orlando beginnt im 16ten Jahrhundert. Dieser versucht sich den Avancen einer Erzherzogin zu entziehen, in dem er sich nach Konstantinopel versetzen lässt. In der Stadt am Bosporus wird ihm eines der einschneidensten Erlebnisse seines langen Lebens zu teil, und dieses Ereignis ist einer der Dreh und Angelpunkte der Duftkomposition. Nach mehrtägigem Schlaf wacht er nämlich als Frau auf.
Nachdem er-nun-sie sich den Weg zurück nach England gebahnt und das Recht erstritten hatte, trotz der spontanen Geschlechtsumwandlung Titel und Ländereien behalten zu dürfen, zieht sich seine-nun-ihre Lebensgeschichte noch viele Generationen hin, denn Lady Orlando wird 300 Jahre alt. In dieser Zeit durchlebt sie verschiedene Epochen und deren Eigenheiten und Gepflogenheiten.
Sie schreibt dabei die meiste Zeit an einem Gedicht, pflegt Umgang mit bedeutenden Schriftstellern der jeweiligen Zeit, von denen sie sich nicht ernstgenommen fühlt, gewinnt aber letztlich den Literatur Nobelpreis.
Inspiriert wurde die Gestalt Orlando von Woolfs Geliebter Vita Sackville-West, ebenfalls Schriftstellerin, zu der sie nahezu 20 Jahre lang ein Verhältnis pflegte, mit dem Wissen und der Akzeptanz beider Ehemänner.
Das Werk gilt als humoristisch und leichtfüßig, wenngleich es von Bedeutung für eher ernste Dinge ist, die Frauenbewegung aber auch Trans- und Homosexualität, Woolf selbst beschrieb die Arbeit daran als Urlaub, sie fiel ihr deutlich leichter als das Schreiben anderer Werke. Erschienen ist Orlando im Jahre 1928.
Kommen wir nun zum Duft. Oft passiert es, dass man einen Herrenduft als eher feminin, einen Damenduft als eher maskulin oder einen eigentlichen Unisexduft eher in die eine oder in die andere Richtung tendierend empfindet.
Anai Biguine geht hier einen anderen Weg. Sie versucht den Geschlechterwechsel des Protagonisten dadurch zu verdeutlichen, dass sie dem als Unisex klassifizierten Parfum einen zunächst maskulinen, später süßeren und femininieren Angklang gibt. Nach einigen Rezensionen gelingt ihr dies auch. Für mich riecht das ganze aber in weiten Teilen relativ geschlechtslos. Und ich verwende bewusst den Ausdruck geschlechtslos, nicht geschlechtsneutral. Ich kann ihn mir zumeist weder an Mann, noch an Frau so wirklich passend vorstellen.
Beginnen tut die Reise mit würzigen Aromen, schnell klingt auch das Patchouli mit an. Die Gewürznelke ist hier tonangebend, aber sie ist nicht so warm, wie man es von ihr kennt, eher zeigt sie sich von der seifigen Seite (wie das in Parfum leider oft so ist).
Doch dann wird es zunehmend balsamischer und süßer.
Schnell macht sich der Perubalsam bemerkbar und wird immer intensiver. Vor allem dessen animalisch-dreckigen Aspekte und dessen balsamische Süße mit leichten fruchtigen Nuancen sind es, die sich immer weiter hochschaukeln, angestachelt von einem süß-animalischen Moschus, der aber fast verblasst gegen diesen klebrigen Balsam.
Vielleicht sollte das der Moment sein, da Lord Orlando akzeptiert, dass er nun eine Lady ist und zum ersten mal englische Damenkleidung trägt. Doch der Eindruck, der bei mir erweckt wird, ist eher der von faulendem Obst. Auch dieses entwickelt beim Verfall eine penetrante Süße im Geruch, bevor es endgültig in Gestank umschlägt.
Das ist nicht der Geruch von Humor und Leichtfüßigkeit. Das ist der Geruch von Verfall, körperlich oder seelisch.
Nachdem diese Verwesungssüße beinahe brechreizerregende Ausmaße angenommen hat, schwächt sie sich ab und lässt Platz für holzige, fast an Tabak erinnende Noten, der Moschus wirkt ein wenig trockener und minimal pudrig.
Sillage ist moderat bis kräftig und die Ausdauer zeigt sich ebenso von dieser Seite.
Schon beim Testen auf Papier ahnte ich, das der Duft anstrengend sein könnte. Im selben Maße hatte er aber auch etwas wahnsinnig Interessantes, Faszinierendes.
Ich kaufte ihn also trotzdem.
Doch obwohl ich ihn mehrfach zu Hause aufgetragen habe, ich konnte mich nicht ein mal überwinden, ihn in der Öffentlichkeit zu tragen.
Auch bevor ich die Inspiration dahinter kannte, hat er mich zum Nachdenken angeregt. Doch als ich mich weiter informierte, haben sich die Puzzelteile ganz anders zusammen geschoben, als es wohl die Intention der Parfumeurin war.
Ich rieche hier neben dem schon angesprochenen Verfall vor allem viel Melancholie, aber auch Passion und Verzweiflung.
Wo ich die Parallelen zur semi-fiktiven Gestalt Orlando zwar riechen konnte, ergab doch vieles andere keinen Sinn. Doch irgendwann machte es klick.
Wie beim Film Naked Lunch nicht einfach das Buch verfilmt wurde, sondern die Perspektive von der Romanverfilmung zur Entstehungsgeschichte und dem Autor gewechselt und beides miteinander verstrickt wurde, so erscheint auch dieser Duft für mich wie etwas, das als olfaktorische Umsetzung der Romanfigur beginnt, aber letztlich zur Autorin wechselt, diese Frau, die nach dem Tot ihrer Mutter von ihren Stiefbrüdern Jahre lang sexuell missbraucht wurde, während sich ihr Stiefvater an ihrer Schwester verging, von der er erwartete, sie solle die Rolle seiner verstorbenen Frau voll ausfüllen.
Die Duftreise zeugt meiner Nase und Interpretation nach vom Leben Virginia Woolfs, das von Depressionen, aber auch manischen Phasen geprägt war, von einer Jugend voller Gewalt, von Verzweiflung und dem Versuch, diese zu meistern. Vom Suchen nach dem Sinn respektive dem Grund hinter Dingen wie dem inzestiösen Missbrauch, den sie erlebte und Zeit ihres Daseins zu verarbeiten hatte.
Es zeugt von Freigeist und Intellekt, vom Streben nach Anerkennung, vom Kampf der Frau, als vollwertiges Mitglied der Gesellschaft anerkannt zu werden, nicht länger unterdrückt von den Männern, vom Erstreiten des Rechts auf freie sexuelle Entfaltung (wenn auch seiner Zeit natürlich weit weniger offen). Um eine weniger verletzliche Position einzunehmen, weniger wehrlos.
Von einer Frau, die während des zweiten Weltkriegs mit ihrem jüdischen Ehemann den gemeinsamen Suizid im Falle einer Invasion durch die Deutschen plante, die aber ohne Invasion und ohne Mann ihr Leben während einer depressiven Phase beendete, in dem sie sich im Fluss Ouse ertränkte, da sie fürchtete, die Fähigkeit zu lesen und zu schreiben durch das neuerliche Aufblühen ihrer seelischen Krankheit zu verlieren.
Der Duft ist harter Tobak. Es ist keiner, den man einfach nur aufträgt, um gut zu riechen. Und ganz sicher keiner, der gute Laune verbreitet. Aber es ist einer, der die Bezeichnung ‘Kunst’ verdient, wo viele andere Düfte nicht mal mehr als Kunsthandwerk anzusehen sind.
Ich habe einige Zeit mit mir gerungen, ob ich ihn behalten soll oder nicht. Ich habe mich letztlich dagegen entschieden und ihn bei einem Tausch an den nächsten weitergegeben. Es ist wie mit einem besonders aufwühlenden Film. Man schätzt ihn, mag ihn aber sicher nicht ständig anschauen.
Zu melancholisch ist das Ganze, und zu artistisch. Wo ich bei heutigen Parfums den Anspruch vermisse, war das dann doch zu viel des Guten.
Ich möchte für mich dann doch lieber einen Mittelweg, nicht zu seicht, aber auch nicht an die Nieren gehend. Und vor allem doch bitte eher wohlriechend (zumindest für meine Nase).